Psychosoziale Gesundheit fördern
-Blogpost von Andrea Fleischmann-
Psychosoziale Gesundheit hat maßgeblichen Einfluss auf unser Leben. Der über 50 Jahre alte und gern zitierte Satz „There is no health without mental health“ drückt aus, dass psychosoziale Gesundheit von vielen Aspekten beeinflusst wird, auf welche die oder der Einzelne nur bedingt Einfluss nehmen kann.
Natürlich wird psychosoziale Gesundheit auch wesentlich von individuellen Aspekten und persönlichen Lebensumständen bestimmt. Darüber hinaus sind jedoch auch soziale, wirtschaftliche, kulturelle und natürlichen Umweltfaktoren wirksam, die für Vorhandensein, Einschränkung oder Fehlen psychosozialer Gesundheit mitverantwortlich sind.
Was versteht man unter psychischer bzw. psychosozialer Gesundheit?
Die WHO definiert psychosoziale Gesundheit als ‚Zustand des Wohlbefindens, in dem ein Mensch seine Fähigkeiten ausschöpfen, die normalen Lebensbelastungen bewältigen sowie produktiv arbeiten kann und im Stande ist, etwas zu seiner Gemeinschaft beizutragen.’
Kompetenzen stärken
In erster Linie müssen die persönlichen, sozialen, kognitiven und psychischen Kompetenzen der Einzelnen gestärkt werden, sodass sie besser in der Lage sind, mit Belastungen umzugehen, die die Psyche negativ beeinflussen können. Wichtige Einflussfaktoren sind dabei z.B. Unterstützung durch die Familie und soziale Kontakte.
Die Verantwortung für die psychosoziale Gesundheit darf jedoch nicht der oder dem Einzelnen allein auferlegt werden. Es ist notwendig, Einflussfaktoren aus allen Lebensbereichen zu berücksichtigen und Lebenswelten unterstützend zu gestalten. Dazu braucht es systematische und strukturierte Maßnahmen. Der Begriff „Lebenswelt“ bezeichnet im Sinne der Ottawa-Charta zur Gesundheitsförderung (WHO) einen Lebensbereich, in dem die Menschen einen großen Teil ihrer Lebenszeit verbringen (z. B.: Schule, Arbeitsplatz, soziales Wohnumfeld etc.).
Es geht also darum, in den unterschiedlichen „Lebenswelten“ jeweils alle jene Einflussfaktoren, die negative Auswirkungen auf psychosoziale Gesundheit haben weitestgehend auszuschalten. Dazu gehören zum Beispiel Ausgrenzung und Isolation, Armut, geringe Bildung, schlechte Wohnbedingungen, Gewalt, Diskriminierung, Arbeitsstress oder Arbeitslosigkeit. Damit dies so effektiv wie möglich geschehen kann, müssen alle Politikfelder einbezogen werden.

Unterstützung, Versorgung und Rehabilitation
Manchmal gelingt es trotz aller Anstrengungen nicht, psychische Erkrankungen zu verhindern. Dann ist rasche und treffsichere Unterstützung für Betroffene und deren Angehörige erforderlich. Die ausreichende Verfügbarkeit niederschwelliger, bedarfsgerechter Angebote, die den Grundsätzen der Inklusion und der integrierten Versorgung Rechnung tragen, ist dabei essentiell. Wichtig ist aber nicht nur die Sicherstellung der Behandlung in Akutfällen. Es müssen auch Maßnahmen, die nach einer Erkrankung die Wiedereingliederung Betroffener in den Alltag und ins Berufsleben erleichtern, wie z.B. psychosoziale Rehabilitation, verfügbar sein. Um den bestmöglichen Erfolg zu gewährleisten, sollten Gesundheits- und Sozialsystem dabei gemeinsam vorgehen.
Total normal?
Psychosoziale Erkrankungen werden nach wie vor nicht als „normale“ Krankheit wie Grippe oder Blinddarmentzündung betrachtet – obwohl sie eigentlich jede oder jeden treffen können. Laut Robert Koch Institut erkrankt die Hälfte der EU-Bevölkerung im Verlauf des Lebens mindestens einmal an einer psychischen Störung. Dies ist jedoch mit einem starken gesellschaftlichen Stigma behaftet. Dies betrifft aber nicht nur die Erkrankten selbst. Auch Angehörige und alle Berufsgruppen, die mit der Behandlung bzw. Betreuung psychisch kranker Personen befasst sind, bekommen Vorurteile und Ressentiments zu spüren.
Ziel muss es sein, ein gesellschaftliches Klima zu schaffen, in dem ein offener und selbstverständlicher Umgang mit allen Facetten von psychosozialer Gesundheit und Krankheit möglich ist. Es ist erforderlich, das Wissen und die Sensibilität in Bezug auf psychische Erkrankungen zu erhöhen, um eine möglichst umfassende Entstigmatisierung in allen Lebenswelten zu erreichen.
Von der Theorie zur Praxis
Um psychosoziale Gesundheit in der Praxis bei allen Bevölkerungsgruppen zu fördern wurde eine Arbeitsgruppe zu diesem Gesundheitsziel gegründet. Sie hat zahlreiche Maßnahmen zu Prävention und Entstigmatisierung sowie zur Sicherstellung bedarfsgerechter Unterstützungs-, Versorgungs- bzw. Rehabilitationsangebote erarbeitet. Ende 2017 hat die Arbeitsgruppe ihren Bericht veröffentlicht. Noch 2018 wird ein Update mit weiteren Maßnahmen folgen.
Zur Person
Andrea Fleischmann ist Juristin im Bereich Vertragspartner der Wiener Gebietskrankenkasse (ÖGK). Außerdem ist sie stellvertretende Leiterin der Arbeitsgruppe zum Gesundheitsziel Psychosoziale Gesundheit fördern.