23. Plenum: Was bedeutet die COVID-19-Krise für die Gesundheitsziele Österreich?
Aufgrund der aktuellen Situation im Zusammenhang mit der COVID-19-Krise und der Ereignisse der letzten Monate war auch der 23. Plenumsworkshop am 25.6.2020 den Auswirkungen der Krise auf die Gesundheitsdeterminanten und auf den Gesundheitsziele-Prozess gewidmet. Das Plenum wurde zudem erstmals in einem Online-Format abgehalten.
Begrüßung durch Generalsekretärin Stilling: „Die Gesundheitsziele sind Ausdruck unseres ganzheitlichen Gesundheitsverständnisses“
BMSGPK-Generalsekretärin Ines Stilling begrüßte die Plenumsmitglieder und bedankte sich für die gute langjährige Zusammenarbeit: „Die Gesundheitsziele sind Ausdruck unseres ganzheitlichen Gesundheitsverständnisses, mit dem Ziel der Erhöhung der gesunden Lebensjahre. Seit vielen Jahren fördern sie die sektorenübergreifende Zusammenarbeit und bilden ein gemeinsames Dach für Maßnahmen in den Bereichen Gesundheit, Soziales und Umwelt. Die Corona-Pandemie hat alle Lebensbereiche betroffen und es hat sich gezeigt, dass sich die langjährig etablierten Kooperationen bewährt haben. Chancengerechtigkeit ist ein wichtiger Aspekt und auch im Rahmen der Corona-Pandemie hat sich bestätigt, dass sich Gesundheitsgefährdungen bei vulnerablen Gruppen verfestigt haben.“ Stilling gratulierte außerdem zu vielen intersektoralen Umsetzungsaktivitäten, wie z. B. die Strategie Gesundheit im Betrieb, die Frühe Hilfen, die ÖPGK oder die Erarbeitung von Konzepten zur Verbesserung der psychosozialen Versorgung. Prozessleiterin Christina Dietscher begrüßte ebenfalls die Plenumsmitglieder: „Seit dem letzten Plenum im September ist einiges passiert – damals hatten wir noch eine Übergangsregierung und Corona war noch unbekannt.“
Gesellschaftliche Auswirkungen der Covid-19-Pandemie
Es folgte ein Impulsvortrag von Univ. Prof. Dr. Barbara Prainsack (Institut für Politikwissenschaft, Universität Wien, Forschungsgruppe Zeitgenössische Solidaritätsstudien). Das Thema war „Gesellschaftliche Auswirkungen der Covid-19-Pandemie – Erfahrungen, Herausforderungen und Chancen“. In Ihrer Betrachtung der Krise wählt Prainsack einen syndemischen Zugang. Das heißt, sie betrachtet die Pandemie in komplexen Zusammenhängen. Das betrifft sowohl nichtübertragbare Erkrankungen als auch soziale, wirtschaftliche und politische Gegebenheiten. Bisherige Studien zeigen, dass die soziale und wirtschaftliche Schere weiter aufgeht. Einkommenseinbußen etwa, sind ungleich verteilt. Deprivation korreliert auch in der Krise mit schlechterer psychischer Verfassung und ungesundem Verhalten. In Summe wird seit Beginn der Krise weniger getrunken und mehr geraucht. Einsame Menschen rauchen und trinken aber mehr. Außerdem ist der “Gender-Gap” im Bereich der bezahlten und unbezahlten Arbeit weiter aufgegangen. Nachdem Frauen ihre Zeit für Hausarbeit und insbesondere Kinderbetreuung nach eigenen Angaben stärker ausgeweitet haben als Männer, liegt nahe, dass die Aufteilung noch traditioneller geworden ist. Des Weiteren zeigt sich in der Bevölkerung große Solidarität und Unterstützung für die Einführung neuer Steuern. Prainsack plädiert für langfristig angelegte Maßnahmen, die soziale Benachteiligung und ihre gesundheitsrelevanten Folgen reduzieren. Außderdem spricht sie sich für eine stärkere Betonung der Prädistribution (grundlegende Verteilung des gesellschaftlichen Wohlstands) im Vergleich zur Redistribution (sekundäre Umverteilung) aus. Eine Stärkung öffentlicher Dienstleistungen und Infrastrukturen hält sie für nachhaltig wirksam.
Auswirkungen auf die Gesundheitsziele Österreich
In Folge wurden die Auswirkungen der Covid-19-Pandemie auf die Gesundheitsziele Österreich diskutiert. Dietscher leitete die Diskussion mit ein paar Gedanken zu potenziellen Chancen und Risiken von „Corona in All Policies“ für die Gesundheitsziele ein. Durch die Krise wurden vulnerable Gruppen und Bereiche sichtbar und die Wichtigkeit eines solidarischen Gesundheits-und Sozialsystems deutlich. Daraus ergibt sich die Chance, Verständnis für die Bedeutung der Gesundheitsdeterminanten im Sinne von Health in All Policies zu schaffen.
Auswirkungen auf Umwelt, Gesundheit und Mobilität
Thoms Jakl (BMK) Leiter der Arbeitsgruppe zum Gesundheitsziel 4 „Luft, Wasser, und alle Lebensräume für künftige Generationen sichern“ berichtete, dass diese sich in einer online Sitzung am 4. Mai 2020 mit den Auswirkungen von Covid-19 auf Umwelt und Gesundheit beschäftigte. Konkret hat sie drei Bereiche näher beleuchtet:
1. Mobilität: Das Mobilitätsverhalten hat sich durch den Lock-Down masiv verändert und es bleibt die Frage, was man in die „Nach-Corona-Zeit“ mitnehmen wird? Online-Formate werden uns vermutlich länger begleiten, insbesondere bei internationalen Meetings/Konferenzen.
2. Auswirkungen auf die Luftqualität / Emissionen: International waren die Veränderungen der Luftqualität (v. a. von NO2 / Stickstoffdioxid) stärker sichtbar als in Österreich. Das Belastungsniveau in Oberitalien und China war und ist aber auch deutlich höher. Auswirkungen auf CO2- und Methan-Emissionen sind nur bei langfristigen Änderungen des Mobilitätsverhaltens und der Wirtschaft bemerkbar. Relevant für die Gesundheit sind aber in erster Linie langfristige Veränderungen der Luftqualität, die aufgrund eines vergleichsweise kurzen Shutdown nicht zu erwarten sind.
3. Wechselwirkung zwischen Biodiversität und Vulnerabilität durch Pandemien: Die Übertragung von Viren von Tieren auf Menschen wird durch Artenausdünnung verstärkt. Die Virenlast von Lebewesen wird höher durch stressige Lebenssituationen. Gesunde, naturnahe Ökosysteme sind hingegen resilienter gegenüber Einflüssen von außen (Stressoren wie Klimawandel, Schadstoffe, Krankheitserreger). Sie helfen somit bei der Prävention von Pandemien. Außerdem sind sie für die Adaption an Pandemien und damit verbundenen Einschränkungen wesentlich (z. B. einfache Erreichbarkeit von Naherholungsflächen, sichere und qualitativ hochwertige Nahrungsmittelproduktion).
Auswirkungen auf Arbeitsplätze und Bildungsstätten
Homeoffice und Homeschooling sind positiv für die Umwelt, aber die Alltagsbewegung geht dadurch zurück. Arbeitsplätze und Schulen sind nämlich enorm wichtige Orte für die alltägliche Bewegung. Auch die Qualität von Meetings hängt in gewisser Weise von den verwendeten Medien ab. Während online-Meetings sehr effizient sein können, sind Pausengespräche bei Präsenzmeetings wichtig für die Vernetzung und sozial bereichernd. Vermutlich ist eine ausgewogene Balance zwischen online- und Präsenzmeetings für die Zukunft sinvoll. Wichtig ist auch der Arbeitnehmerschutz im Homeoffice, z.B. was Ausstattung der Arbeitsplätze und Ergonomie angeht. Arbeitsplatz und Bildungsstätte sind auch zentrale soziale Orte. Der Zugang zu digitaler Infrastruktur sowie das nötige Knowhow für die Anwendung ist nicht für alle gleichermaßen verfügbar und zugänglich. Das sollte im Zuge der Digitalisierung nicht vergessen werden. Es gilt chancengerechte Lösungen zu finden.
Auswirkungen auf „Jung und Alt“
Kinder und Jugendliche wurden zum Teil als Gefahr für vulnerable Gruppen (Super Spreader) gesehen. Ältere Menschen wurden in erster Linie als Risikogruppe dargestellt. Was ihrem Schutz dienen sollte, wurde teilweise als stigmatisierend wahrgenommen. Zukünftig sollten Menschen aller Altersgruppen – insb. Kinder, Jugendliche und ältere Personen stärker selbst zu Wort kommen. Es gilt bestehende Beteiligungsmöglichkeiten stärker bekannt zu machen. Die Beteiligung von Jugendlichen wird beispielsweise bereits im Rahmen der European Youth Goals, des Österreichischen Jugenddialogs und der Österreichischen Jugendstrategie vorangetrieben. Es braucht aber auch Formate wo Teilhabe als gemeinsame Teilhabe (junge Menschen, alte Menschen usw.) gelebt werden kann. Der Open Space zum Gesundheitsziel 5 „Durch sozialen Zusammenhalt die Gesundheit stärken“ war ein Schritt in diese Richtung. Für Oktober 2020 ist der nächste Plenumsworkshop geplant – dieser wird sich voraussichtlich der Gesellschaft für alle Lebensalter widmen.