Gewichtsdiskriminierung im Gesundheitsbereich

Schriftzug: Diversität, Gesundheit, positives Körperbild

In der Diskussion zu Hochgewicht wurden Diskriminierung ihre gesundheitlichen Folgen bislang meist ignoriert. Mit dem Ziel gesundheitliche Chancengerechtigkeit für alle Menschen in Wien herzustellen, hat das Büro für Frauengesundheit und Gesundheitsziele/Wiener Programm für Frauengesundheit der Stadt Wien sich dem tabuisierten Thema Gewichtsdiskriminierung angenommen. 2018 beauftragte es zwei Studien zu „Diskriminierung von Frauen mit Hochgewicht im Gesundheitsbereich“: ein Literature Review „Diskriminierung hochgewichtiger/adipöser Frauen“ und eine qualitative Studie. Finanziert wurden diese mit Mitteln der WiG GmbH. Studienautorinnen sind Mag.a Nicole Schaffer, Schaffer Research und Prof.in Dr.in Birgit Buchinger, Solution GmbH.

Ausgangspunkt für die Auseinandersetzung mit dem Thema war der 2015 vom Wiener Programm für Frauengesundheit herausgegebene Bericht „Adipositas und Essstörungen im Brennpunkt. Eine Auseinandersetzung mit dem Einfluss von Wirtschaft und Gesellschaft auf Kinder und Jugendliche“. Ein Beitrag wieß auf die Stigmatisierung und Diskriminierung von Kindern und Jugendlichen mit Adipositas hin. Die beiden neu beauftragten Studien schauten sich das Thema im Gesundheitsbereich bei Erwachsenen an. Die Ergebnisse sind richtungsweisend und zeigen Handlungsbedarf für den Gesundheitsbereich auf.

Ergebnisse

In unserer Gesellschaft, in der strikte Körpernormen und „Schönheitsideale“ vorherrschen, werden Menschen mit Hochgewicht häufig mit stereotypen Zuschreibungen, Stigmatisierung und Diskriminierung konfrontiert. Obwohl die Ursachen für Hochgewicht vielfältig und komplex sind, ist eine weit verbreitete Meinung: „Dicke sind selbst schuld an ihrem Körpergewicht“.

Gewichtsdiskriminierung

Folgen

Zahlreiche internationale Studien geben Hinweise darauf, dass eine Gewichtsdiskriminierung auch im Gesundheitsbereich stattfindet. Dieser ist sogar ein wesentlicher Kontext für Normierungs- und Stigmatisierungsprozesse. So scheint es umfassende Diskriminierungsmuster zu geben. Einerseits auf der strukturellen Ebene und andererseits auf der individuellen Ebene, also im persönlichen Kontakt von Menschen mit Hochgewicht mit dem Gesundheitspersonal. Beanstandet werden häufig die mangelnde Barrierefreiheit und nicht passende medizinische Ausstattung, z.B. bei Untersuchungsröhren (MRT) oder auch bei Messbändern (Bauchumfang) und Blutdruckmanschetten. Auf der individuellen Ebene werden als diskriminierend empfundene Kommunikationsformen kritisiert: unpassender Sprachgebrauch und Beleidigungen, unnötige Empfehlungen und unprofessionelle Schuldzuweisungen bei erfolglosen Gewichtsreduktionen. Es kommt auch vor, dass Diagnosen und Therapieansätze auf Gewicht reduzieren und fehlgeleitet sind oder dass das Gewichtsthema umfassend tabuisiert wird. Andere Formen von Stigmatisierung zeigen sich in einer abwehrenden Grundhaltung, weniger Behandlungszeit oder Behandlungsmöglichkeiten als bei „normalgewichtigen“ Menschen. Als Gründe für Gewichtsdiskriminierung werden u.a. fehlende entsprechende Ausstattung, Überforderung und physische und emotionale Herausforderungen genannt. Um eine Verbesserung der Situation zu erreichen, müssen auch die Bedürfnisse und Ängste des Gesundheitspersonals berücksichtigt werden.

Eine (mögliche) Konsequenz von Diskriminierung und Stigmatisierung ist der Ausschluss einer bestimmten Bevölkerungsgruppe aus der Gesundheitsversorgung. Aus Angst vor weiteren Diskriminierungserfahrungen oder aus Schamgefühl werden Behandlungstermine oder Vorsorgeuntersuchungen weniger oft genutzt beziehungsweise erst gar nicht in Anspruch genommen. Weiters können unterschiedliche Qualitäten in der medizinischen Versorgung die Folge sein. Zum Beispiel wenn Krankheiten aufgrund von fehlgeleiteten Diagnosen nicht rechtzeitig erkannt werden. Zudem kann Gewichtsdiskriminierung auch negative Auswirkungen auf den psychischen Gesundheitszustand von Patientinnen und Patienten mit Hochgewicht haben. Verweigerungshaltung, stressverursachtes erhöhtes Essverhalten, Körperbildstörungen, Essstörungen, Angst- und Panikstörungen und Depressionen können die Folge sein. Dies kann sich wiederum negativ auf den Behandlungserfolg von Adipositats auswirken.

Die Ergebnisse der qualitativen Studie bestätigen jene des Literature Reviews. Neben der Allgemeinmedizin wurden besonders häufig Gynäkologie und Orthopädie als Orte der Diskriminierung im Gesundheitsbereich genannt. Vorwürfe, Herabwürdigungen oder Zuschreibungen, vorurteilsbehaftete Rückschlüsse vom Gewicht auf den Gesundheitszustand und die Lebensführung: dies und die tendenzielle Aberkennung der Fähigkeit zur gesunden Lebensführung sind Teil der Alltagserfahrung von hochgewichtigen Patientinnen.

Beide Studien beinhalten Handlungsempfehlungen, die sowohl strukturelle wie auch individuelle Diskriminierung adressieren. Was für alle gilt: Jede Patientin, jeder Patient will – unabhängig vom Gewicht – ernst genommen, angehört und hinsichtlich der jeweils konkreten Symptomatik behandelt werden.

Zu den Autorinnen:

Mag.a Ulrike Repnik, MA und Mag.a Daniela Thurner sind Fachreferentinnen des Büro für Frauengesundheit und Gesundheitsziele/Wiener Programm für Frauengesundheit und hatten die Idee für dieses Projekt und seine Leitung inne.